Zu allererst; In solch extremer Höhe reagiert jeder Körper individuell. Die Erfahrung die ich bei diesem Lauf gemacht habe, bezüglich extremer Ausdauerbelastung unter Sauerstoffmangel, müssen und werden bei jedem Menschen anders sein.
Nach zwei Jahren ging es am 30.08. wieder Richtung Leh, Hauptstadt der Himalayaprovinz Ladakh im äußersten Norden Indiens, um den zweiten Versuch an der Khardung La Challenge zu wagen. 2015 musste ich nach 2 Stunden das Rennen wegen einer starken Magen-Darm Verstimmung abbrechen. Seitdem steht das Rennen auf meiner Unfinished-Business Liste ganz oben.
Hier ein paar Eckpunkte zur Khardung La Challenge.
- 72km Streckenlänge (60% Asphalt / 40% in den Fels gesprengte unfertige Straße)
- Start in Khardung Village auf 4000m
- Ziel in Leh auf 3500m
- Höchster Punkt: Khardung La Top bei 5370m!
- 40% der Strecke befinden sich auf über 4600m
- Zeitlimit: 14 Std.
Am 31.08. erreichte ich frühmorgens Leh. Den ersten Tag in dieser Höhe sollte man wohlweislich mit gezieltem Nichtstun verbringen. Nach 2 Stunden ist der Blutsauerstoff im menschlichen Körper aufgebraucht, und da nicht mehr so viel Sauerstoff eingeatmet wird, reagiert der Körper mit Kopfweh, Schwindel und Kurzatmigkeit. Ganz normale Reaktionen die sich bei den meisten Menschen nach einem Tag bessern. Im Oriental Guesthouse in Leh lässt sich das Nichtstun jedenfalls gut aushalten. Tolle Herberge mit leckerem indischen Dinner buffet.
Die folgenden Tage verbrachte ich mit Akklimatisierungsläufen bis hoch auf 4000m. Der langsame Dauerlauf ist für mich das langweiligste was es gibt. Hier in dieser Höhe wäre ich froh, wenn ich so schnell laufen könnte wie beim LDL. Aber egal wie langsam man läuft, das unfassbare Panorama mit den unzähligen 6000er Berggipfel um einen herum, machen jeden Lauf zu einem einmaligen Erlebnis.
Drei Tage vor dem Lauf bin ich auch mal mit dem Moped hoch zum Khardung La Pass.Immer wieder ein Erlebnis und eine gute Erfahrung um einmal die Höhe von über 5000m kennenzulernen wo es nur noch 40% des Sauerstoffs als auf Meereshöhe hat. Falls ich die Challenge noch einmal machen sollte werde ich mich aber auf jeden Fall mehrere Stunden in dieser Höhe aufhalten und auch mal den ein oder anderen Km joggen/walken.
Freitags den 08.09. ging es dann morgens um 9:00 Uhr mit Bussen von Leh nach Khardung Village wo wir gegen 13:00 Uhr ankamen. Khardung Village ist eine sehr kleine menschliche Ansiedlung wo die Zeit stehengeblieben ist. Elektrischen Strom gibt es von 19:00-23:00 Uhr. Das Leben spielt sich ansonsten ab wie vor 100 Jahren. Wir Läufer wurden in kleinen Gruppen bei den Menschen dort privat untergebracht. Nachmittags gab es noch für uns eine Tanz- und Kulturveranstaltung der örtlichen Frauengemeinschaft. Die jährlich stattfindende Khardung La Challenge ist dort das größte Ereignis und Höhepunkt des Jahres im ansonsten sehr sehr kargen Leben dieser Menschen.
Es folgte der obligatorische Medizincheck, wobei Blutdruck und der SpO2 (Blutsauerstoffgehalt) gemessen wurden. Der SpO2-Wert nimmt in der Höhe ab. Auf Normalniveau hat ein Mensch zwischen 95-99% SpO2. In Leh und auch beim Medical-Check hatte ich einen Wert von 88%, völlig normal und in Ordnung. Je höher man kommt umso mehr nimmt dieser Wert ab und irgendwann wird es grenzwertig. Da ich einen eigenen Oximeter habe, konnte ich mich auch während des Laufs kontrollieren (mit Ergebnissen, die jeden Mediziner in nervöse Hektik verfallen lassen würden)
Nach dem Frühstück um 02:00 Uhr ging es dann endlich um 03:00 Uhr auf die „Rennstrecke“. Der Streckenverlauf gliedert sich folgendermaßen auf:
- Start in Khardung Village auf 4000m
- North Pullu (Armee Checkpoint) nach 19km auf 4600m
- Khardung La Top nach 32km auf 5370m
- South Pullu (Armee Checkpoint) nach 46km auf 4600m
- Ziel in Leh nach 72km auf 3500m
- Aid Station alle 5km
Anfangs „lief“ es ganz gut. Gut eingepackt gegen die Kälte (Start bei 2-3 grad, weiter oben klirrende Kälte im Minusbereich) ging es die ersten 19km nach North Pullu auf 4600m. Ab dort machte sich dann die Höhe bei jedem bemerkbar und man sah eigentlich niemanden mehr laufen, sondern nur noch marschieren. Die einheimischen Läufer aus der Hochgebirgsprovinz, allesamt Mitglieder der Ladakhi Scouts, waren zu diesem Zeitpunkt natürlich schon längst über den Pass und Richtung Leh unterwegs. Die Jungs laufen die 72km in dieser Höhe in 6,5 Std.
Je höher es ging umso schwerer viel mir das Atmen und ich marschierte irgendwann den Berg hoch wie besoffen. Die Ambulance, die ständig auf- und abfuhr und die Läufer beobachtete und betreute fragte mich ständig ob alles in Ordnung wäre und ob ich mich wohl fühle. „Everything is fine, Sir. No problem, Sir. I’m feeling good.“ Gar nix war in Ordnung, aber der Rennarzt hätte mich direkt aus dem Rennen genommen, wenn der meine Vitalwerte gecheckt hätte. Medizinisch vielleicht korrekt, aber gegen meinen Dickschädel keine Chance. Kurz vor dem höchsten Punkt habe ich mit meinem Oximeter nochmal meinen SpO2-Wert gecheckt. 56% sind nicht mehr zum Lachen und mehr als kritisch, aber mit dem Wissen, das es nach Khardung La Top nur noch abwärts geht und der Sauerstoff in der Luft wieder zunimmt ging es mit wackeligen Beinen weiter.
Oben, nach 5h:20m gab es dann ein Erinnerungsfoto und eine warme Knoblauchsuppe bevor es endlich abwärts Richtung Leh ging. Waren ja nur noch 39km bis ins Ziel. Wenn ich sagen würde „mit jedem Km fiel das Atmen leichter“ wäre das gelogen, aber irgendwann hörte das Kopfweh auf und auch das Schwindelgefühl war bald weg. Ich war quasi „über dem Berg“, geografisch sowie gesundheitlich. Geiles Gefühl, wieder mal meinen Willen durchgesetzt zu haben, auch wenn es diesmal echt grenzwertig war.
Auch wenn es jetzt wieder mehr Sauerstoff gab, war an Laufen nicht mehr zu denken. Den wenigen Sauerstoff nimmt sich der Körper für die lebenswichtigen Organe, und auch wenn wir Läufer das meinen, die Beine gehören definitiv nicht dazu. Dafür funktionierte das Gehirn wieder hervorragend und die Rechnerei begann. Schaffe ich es innerhalb der Cut-Off-Time? Welchen Schnitt muss ich gehen um mir alle halbe Stunde eine kleine Verschnaufpause zu gönnen? Laufen im Grenzbereich fördert das Kopfrechnen.
In South Pullu auf 4650m, nach 46km, wartete dann mein Drop-Bag auf mich. Mittlerweile war ich 7h:45m im Rennen und es war sehr heiß. Also schnell in die kurzen Shorts gewechselt und die Wollmütze gegen den Visor getauscht und mit Sonnenschutzfaktor 60 auf der Haut ging es dann endlich wieder auf geteerter Straße weiter.
Die letzten 26km ging es stupide mit einer 9:30er pace dem Ziel entgegen. Auf den letzten 5km ging es noch durch eine Ehrenrunde durch Leh, bevor der Wahnsinn dann am Ende der Fußgängerzone im Zentrum von Leh nach 72km in ungefähr 12h:50m mit einem kleinen 50m Fotosprint endete.
So viele Gratulanten im Ziel. So viele indische Läufer die sich noch an mein DNF von vor zwei Jahren erinnerten, oder mich Stunden vorher stark schwankend oben auf dem Pass sahen, freuten sich mit mir, Khardungla endlich bezwungen zu haben.
Noch nie war ich so sehr erschöpft und am Ende als nach diesem Lauf. Bei anderen, teils auch längeren und technisch viel anspruchsvolleren Läufen habe ich eher mit versehrten Körperteilen zu tun. Hier in Leh hatte ich noch Stunden später einen Puls von knapp unter 100 (Mein Ruhepuls ist z.Z. 45).
Fazit:
Alle Läufe, die mich so extrem begeistern, empfehle ich gerne weiter. Dies werde ich hier nicht tun. Der Lauf ist eine Extremerfahrung die sehr an die Grenzen, und vielleicht auch darüber hinaus, geht. Jeder Mensch kommt mit der extremen Höhe anders zurecht. Manch einer konnte ohne Probleme durchmarschieren, andere saßen kurz vorm Pass am Wegesrand und warteten völlig erschöpft auf die Ambulanz. Ob sich jemand an solch einem Extremlauf versucht, und inwieweit er dann an die Grenzen oder darüber geht, muss jeder für sich entscheiden.
Was ich aber empfehlen kann, ist die Stadt Leh und die Region Ladakh. Und es gibt ja auch noch den Ladakh Marathon der sich „nur“ rund um Leh auf 3500m abspielt. Und wer weiß; Bei einer touristischen Fahrt hoch zum Khardung-La Pass denkt ja der ein oder andere Läufer an diesen Text, schnappt nach nicht vorhandener Luft, greift sich an den Kopf, denkt sich „was für ein Wahnsinn“ und meldet sich an zur nächsten Khardung La Challenge.
Jullay
Comments 2
Gratulation Alex! Suuuuuuper! Viele Grüße, Erwin
Hey Alex! I hope you are doing well. Many congratulations for your feat.
I still remember how much disappointed you were in 2015 and that time I told you that ‚there is always an another chance‘ and 2 year later you proved it. Cheers!!!